In der letzten Folge der Podcast-Reihe „Wir kriegen die Krise.“ zum Thema Resilienz und Zivilgesellschaft mit Anna Stahl-Czechowska (AgitPolska) und Nils-Eyk Zimmermann (civilresilience.net) geht es darum, wie die Zivilgesellschaft resilient bleiben kann, wenn sie unter Druck gerät und wie bürgerliches Engagement die gesamte Gesellschaft beeinflusst.
Mit Anna Stahl-Czechowska ist eine Frau zu Gast in dieser Podcast-Folge, die sich stark für politische Teilhabe von Frauen mit Migrationsgeschichte in Deutschland einsetzt. Sie gehört zu der zweitgrößten Gruppe von Migrant*innen in Deutschland: Über zwei Millionen der in Bundesrepublik lebenden Menschen sind in Polen geboren oder Kinder von Pol*innen. Anna sorgt mit dem Verein AgitPolska e.V. für die Sichtbarkeit der Polinnen in Deutschland und mit dem Mentoring-Programm PolMotion unterstützt sie Frauen mit Migrationsgeschichte dabei, zu aktiven Gestalterinnen der Demokratie zu werden. Sie ist außerdem bestens mit engagierten Frauen in Polen vernetzt.
Lautstark hat die Frauenbewegung in Polen ein deutliches Zeichen gesetzt: Es ist ihr im letzten Herbst gelungen, einen Regierungswechsel herbeizuführen und der ultra-konservativen frauen- und LGBTIQ-feindlichen Politik der rechtspopulistischen PiS-Regierung eine Absage zu erteilen. Dass Polen eine aktive und durchsetzungsfähige Frauenbewegung hat, ist nicht neu. Schon vor 100 Jahren haben sich Frauen wirkungsvoll für Gleichberechtigung eingesetzt in diesem Land, das bis heute unter dem sehr starken Einfluss der katholischen Kirche steht. Die Ergebnisse der restriktiven Politik der PiS-Regierung gegen Frauen und LGBTIQ der letzten acht Jahre, die von der katholischen Kirche befeuert und von vielen Bürger*innen durchaus mitgetragen wurden, sind nicht ganz einfach zurückzudrehen. Aber die Frauen haben ein so deutliches Signal gesetzt, dass sich die neue Regierung daran orientieren muss.
„Die Schlüsselakteure für demokratische Resilienz sind bewusste, starke, gemeinwohlorientierte und an politischer Wirkung interessierte unabhängige Organisationen“, konstatiert der zweite Gast dieser Podcast-Folge Nils-Eyk Zimmermann auf seinem Blog civilresilience.net, in dem er den Zusammenhang von Demokratie und Resilienz unter die Lupe nimmt. Der Programmmanager, Berater, Autor und Experte für demokratische Resilienz war auch am Expert*innen-Gespräch beteiligt, das wir in Vorbereitung auf die Studie „Nicht kleinzukrisen! Was die Zivilgesellschaft resilient macht“ durchgeführt haben. Er kennt sich bestens mit Zivilgesellschaften aus, die unter Druck stehen, denn er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Engagement, Menschenrechten, Demokratiebildung und Bürger*innenbeteiligung – mit dem Fokus Ost- und Südosteuropa. Ihn interessiert brennend, wie Demokratien resilient werden können gegenüber Angriffen von außen und innen.
Nils beschreibt, wie zivilgesellschaftliches Engagement sich entwickeln kann in Abhängigkeit davon, wie unterstützend oder aber begrenzend sich das politische System verhält und ob andere gesellschaftliche Kräfte fördernd oder hindernd wirken. Er unterstreicht aber auch, dass sich gerade die Zivilgesellschaft von Krisen keineswegs abhalten lässt bzw. insbesondere in Situationen unter starkem Druck enorme Stärke entwickeln kann. Das wird am Beispiel der ukrainischen Zivilgesellschaft in Kriegsgebieten derzeit ebenso offensichtlich wie bei ihren Diaspora-Organisationen und -Aktivitäten.
Hatte Heiner Geißler recht und die Parlaments-Demokratie schafft sich selbst ab? Und ist es die Zivilgesellschaft, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung retten kann? Die Kraft der Frauenbewegung in Polen kann als Bestätigung dieser These gelten. Hier wurde deutlich, dass der Druck, den die antidemokratische Regierung ausgeübt hat, auf einen starken Widerstand traf. Damit wuchs die Resilienz der Engagierten, die für Frauen- und LGBTIQ-Rechte eintreten. Der Zusammenhalt zivilgesellschaftlicher Kräfte kann also zum Selbsterhalt einer demokratischen Gesellschaft beitragen.
Der Bestand der in unserer Studie beschriebenen Resilienzressourcen verändert sich in Abhängigkeit von Krisen, in denen sich die gesamte Gesellschaft und ihre Zivilgesellschaft befinden. Eine unter Druck geratene Zivilgesellschaft kann in Teilen sogar durch die Krise erstarken und neue oder mehr Ressourcen aufbauen. Ein Beispiel dafür sind wiederum die Entwicklungen in der ukrainischen Zivilgesellschaft seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Der enorme Handlungsdruck führt zu Fokussierung und Effizienz im Planen und Handeln. Jedoch sind ihre Strukturen durch die kriegsbedingten gesellschaftlichen Umbrüche auch stark ins Wanken geraten oder möglicherweise komplett weggebrochen.
Der (drohende) Verlust von demokratischen Prozessen und Strukturen beweist in der Praxis häufig das Potenzial, die breite Zivilgesellschaft zu mobilisieren und somit auch ihre Resilienzressourcen langfristig zu stärken. Eine resiliente Zivilgesellschaft ist allerdings kein Selbstläufer. Daher gilt es Resilienz auch in entspannteren Zeiten als zivilgesellschaftliche Superkraft mitzudenken und einzuüben. AgitPolska und die Aufklärungsarbeit von Nils-Eyk Zimmermann leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
Bei Fragen und Anregungen zum Podcast schreibt uns eine E-Mail an lab@betterplace-lab.org.
Produziert wird die Staffel von Tonstudio Sprachraum/Silvan Oschmann.
Wir bedanken uns bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die unser Forschungsvorhaben “Die resiliente Zivilgesellschaft” fördert.
Fotos: Kamila Zimmermann & Kopf und Kragen