Krisen mit globalen Auswirkungen werden auch in Zukunft nicht abnehmen, sondern sich als Polykrisen sogar gegenseitig noch verstärken. Die Folgen für eine unvorbereitete Gesellschaft sind massiv, da konstitutive Elemente – wie Demokratie, Wirtschaft, Zusammenhalt – zusehends in Gefahr geraten. Daher braucht es ein Fundament an gesellschaftlicher Resilienz, um widerstandsfähig zu bleiben und sich kontinuierlich an neue Rahmenbedingungen anpassen zu können. Diese Fähigkeit zu fördern, ist die Aufgabe der Resilienzpolitik.
Was genau ist Resilienzpolitik? Klassischerweise kommt sie insbesondere im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz zum Tragen und bezieht sich auf den Erhalt bzw. die schnellstmögliche Rückkehr zum Ausgangszustand. Ein Beispiel dafür ist die Resilienzstrategie des Bundesinnenminsteriums. Doch Krisenereignisse und ihre Folgen im Zusammenhang mit Klimawandel, Pandemien, politischen Unruhen oder Migration nehmen bereits gegenwärtig und zukünftig aller Voraussicht nach noch stärker zu. Damit gewinnt Resilienzpolitik in fast allen politischen Feldern an Relevanz, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit und Digitalisierung. Statt nur auf den Erhalt des Bestehenden, Robustheit und Widerstandsfähigkeit zu setzen, geht es dann um die Gestaltung einer angemessenen Balance aus Bewahren und Verändern. Und zwar Verändern in zweierlei Hinsicht – gemäß dem CO:DINA-Positionspapier zum Thema: zum einen die Entwicklung aktiver und zielgerichteter Veränderungsstrategien sowie den Aufbau von institutionellen, organisatorischen und personellen Kapazitäten und Voraussetzungen für ihre Umsetzung; zum anderen die Fähigkeit, Veränderung als Ziel zu betrachten und sowohl vorausschauend als auch in Krisenmomenten neue Strukturen zu schaffen, die nachhaltiger sind als die bisherigen. Gerade hier spielen Politik und Verwaltung eine essentielle Rolle. Sie stehen vor der Herausforderung, eine Balance aus Stabilität und Flexibilität in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu entwickeln und zu halten – gemeinsam mit politischen Akteur*innen und der Zivilgesellschaft.
In dieser Kurzstudie, die wir als betterplace lab im Auftrag von CO:DINA im Juni 2023 geschrieben haben, wird aus der Perspektive der Zivilgesellschaft dargelegt, wie die Resilienzpolitik durch Einbezug der Digitalen Zivilgesellschaft gestärkt werden kann.
Die Gemeinwohlorientierung und die Digitalkompetenz der zivilgesellschaftlichen Organisationen können sowohl die Blickwinkel der Resilienzpolitik erweitern als auch fehlende Expertise beitragen. Dieses Wissen ist bedeutend, um politisch gegen die exponentiell wachsende Lücke zwischen rapider technischer Entwicklung und alten Handels- und Denkmustern vorzugehen.
Fragt man die Akteur*innen der Digitalen Zivilgesellschaft, können sie ihre Stärken bislang allerdings noch nicht richtig ausspielen. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung macht deutlich, dass bundespolitische Beratungsgremien nur zu rund 14 Prozent mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen besetzt sind (im Gegensatz zu fast doppelt so vielen Wirtschaftsvertreter*innen). Und selbst wenn sie eingebunden werden, empfinden zivilgesellschaftlich Engagierte den Prozess oft nicht als transparent, ausgewogen und produktiv – so sahen es jedenfalls unsere Interviewpartner*innen. Genauer: Häufig würden ‘die üblichen Verdächtigen’ eingeladen und kleinere Organisationen blieben unberücksichtigt oder konnten sich eine Teilnahme ohne Aufwandsentschädigung schlicht nicht leisten. Mehrfach blieben die Abläufe und Ergebnisse von Konsultationsprozessen und die Rollen der Eingeladenen darin unklar – bis hin zum Verdacht der Scheinpartizipation. Gerade für Resilienzpolitik, die sich mit komplexen Abwägungen und langfristigen Veränderungsprozessen befasst, ist dieser Status quo unbefriedigend.
In der Kurzstudie finden sich entsprechend 13 Handlungsempfehlungen, die den Einbezug der Digitalen Zivilgesellschaft signifikant verbessern können, ohne ihre Unabhängigkeit aufzuweichen. Die Ansätze umfassen die klare Definition der Erwartungen und Rollen im kollaborativen Prozess, den gegenseitigen Wissenstransfer, die effektive Gestaltung von Beteiligungsformaten und eine erhöhte Transparenz in der Zusammenarbeit.
1. Klärung der Erwartungen und Rollen: Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind keine Politiker*innen oder Verwaltungsangestellte – und dennoch machen sie Politik und übernehmen in manchen (Not-)Situationen Aufgaben der Verwaltung oder unterstützen diese. Doch auch wenn Flexibilität und Durchlässigkeit für resilienzpolitische Strategien unerlässlich sind, sollten Rollenverteilungen und Erwartungshaltungen stets expliziert und überprüft werden. Raum für konstruktive Kritik sollte ebenso gegeben sein wie ein gemeinsames Grundverständnis darüber, wie die verschiedenen Akteur*innengruppen sich begegnen. Zusätzlich wären finanzielle Aufwandsentschädigungen für Engagierte wünschenswert, die sich teilweise in prekär finanzierten Organisationen und ehrenamtlich tief in Themen hineinarbeiten, um aktive Beiträge zur gesellschaftlichen Veränderung zu leisten.
2. Wissen über eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung: Die Digitale Zivilgesellschaft kann aus einem reichen Vorrat an Praxis- und Forschungswissen schöpfen und dieses in ganz unterschiedlichen Formen weitergeben. Hier können Politiker*innen und Verwaltungsmitarbeiterin einiges lernen – sofern die Lern- und Austauschformate passend zugeschnitten und anschlussfähig sind. Um den Wissensaustausch zu verbessern, braucht es daher eine offene Verständigung über die jeweiligen Bedürfnisse der Zielgruppen. Das kann beispielsweise durch Twinning-Programme gelingen, bei denen Menschen aus Politik und Verwaltung Menschen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen zeitweise in ihrer Arbeit begleiten und andersherum. Auch eine kollaborative Zukunftsforschung ist eine vielversprechende resilienzpolitische Strategie, um gemeinsam kommende (Krisen-)Entwicklungen zu antizipieren und konstruktiv in den verschiedenen Bereichen damit umgehen zu können.
3. Breite Beteiligung trotz Mehraufwand: Konsultationsprozesse, die sehr unterschiedliche Sichtweisen zusammenführen, sind aufwändig. Sie sind komplex in der Vorbereitung, der Moderation und der Organisation, um alle relevanten Positionen in eine konstruktive Auseinandersetzung und zu einem richtungsweisenden Ergebnis zu bringen. Die Schwierigkeit steigt enorm, wenn die Akteurslandschaft unübersichtlich und damit unklar ist, wer beteiligt werden sollte, um eine solide Entscheidungsgrundlage zu erreichen. Quoten, um Diversität und Ausgewogenheit herzustellen, werden hier als hilfreiches Tool erachtet. Für die Digitale Zivilgesellschaft existieren bereits Bündnisse und Plattformen wie digitalezivilgesellschaft.org, die versuchen, eine Landkarte der Akteur*innen im Themenfeld zu zeichnen. Ihre fortwährende Weiterentwicklung und Aktualisierung benötigt allerdings längerfristige (finanzielle) Unterstützung.
4. Transparente Prozessgestaltung: Klarheit ist ein Schlüsselbegriff für Konsultationsprozesse. Die Beteiligten möchten sich über Ziele und Abläufe informiert fühlen. Rollen sollten definiert sein und Spielräume für unterschiedliche Intensitäten des Engagements gewähren. Insbesondere digitale und hybride Formate und Tools – die teilweise auch in der Zivilgesellschaft entwickelt wurden und werden – können hierbei Flexibilität schaffen und eine breitere Beteiligung erreichen. Schließlich wird von den Befragten auch eine möglichst neutrale und machtsensible Moderation sowie ein transparentes Monitoring von Prozessen und Ergebnissen als essenziell für gelingende Konsultationsformate betrachtet.
Detaillierte Steckbriefe zu den einzelnen Maßnahmen lassen sich in unserer Kurzstudie (ab Seite 24) nachlesen.