Studie #Hass Im Netz - Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie
Die bisher größte deutsche repräsentative Online-Befragung zu Erfahrungen und Einstellungen zu Hate Speech in Deutschland wurde Anfang Juli veröffentlicht. Die Studie wurde von Campact beauftragt und vom IDZ Jena (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena) ausgewertet, Das NETTZ arbeitete inhaltlich mit. Autor*innen der Studie sind Daniel Geschke, Anja Klaßen, Matthias Quent, Christoph Richter. Die Studie liefert solide Zahlen, mit denen wir argumentieren und arbeiten können. Hier findet ihr die Studie (33 Seiten, 157 Seiten inkl. aller Anhänge).
Methode der Befragung
Welche Erfahrungen haben Bürger*innen mit Hate Speech und wie sind ihre Einstellungen zu Hassrede im Internet? Um das zu erfassen, wurde im Auftrag von Campact e.V., durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut YouGov und ausgewertet vom IDZ Jena (Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft) im April und Mai 2019 die bisher größte deutsche repräsentative Online-Befragung mit 7.349 Teilnehmenden im Alter zwischen 18 und 95 Jahren realisiert.
Verwendete Definition von Hate Speech
Aggressive oder allgemein abwertende Aussagen gegenüber Personen, die bestimmten Gruppen zugeordnet werden, werden „Hate Speech“ genannt (bzw. synonym auch „Hassrede“, „Hasssprache“ oder „Hasskommentare“). Mit Hate Speech ist also vor allem vorurteilsgeleitete, abwertende Sprache gemeint.
Direkte Betroffenheit von Hassrede
Jede*r zwölfte Teilnehmende (8 % der Befragten) war bereits persönlich von Hate Speech im Netz betroffen. Manche Gruppen trifft es besonders stark. Jüngere Menschen (18- bis 24- Jährige: 17 %) und Familien mit Einwanderungsgeschichte (14 %) weisen signifikant höhere Werte auf. Hassrede wendet sich häufig gegen Vielfalt in der Gesellschaft. Die Zahlen zur persönlichen Betroffenheit zeigen interessante Unterschiede zwischen den Bundesländern auf. Regionale Unterschiede deuten auf unterschiedliche politischen Kulturen hin, die die Wahrnehmung und verschiedene Reaktion auf das Phänomen beeinflussen.
Wahrnehmung von Hate Speech
40 % der Befragten haben schon online Hasssprache wahrgenommen. Jüngere Menschen im Alter von 18 – 24 Jahren haben dabei deutlich häufiger (73 %) online Hate Speech beobachtet als ältere (25 – 44 Jahre: 51 %, 45 – 59 Jahre: 33 %, über 60 Jahre: 26 %). Befragte mit Migrationshintergrund (48 %) sahen häufiger Hasskommentare im Netz als Befragte ohne Migrationshintergrund (38 %). 76 % der Befragten haben den Eindruck, dass Hate Speech im Internet in den letzten Jahren zugenommen hat.
Auswirkungen der persönlichen Konfrontation mit Hassrede
Zwei Drittel (66 %) derer, die schon persönlich mit Hasskommentaren im Netz angegriffen wurden, benennen verschiedene negative Auswirkungen dieser Erfahrungen (Mehrfachantworten waren möglich): emotionaler Stress (33 %), Angst und Unruhe (27 %), Depressionen (19 %), Probleme mit dem Selbstbild (24 %). Für 15 % ergeben sich Probleme mit und bei der Arbeit bzw. in ihrer Bildungseinrichtung.
Für jüngere Menschen unter 25 Jahren ist das noch deutlicher: Jede*r Zweite (49 %) der Betroffenen berichtet von emotionalem Stress, mehr als jede*r Dritte (38 %) von Angst und Unruhe, fast jede*r Dritte (31 %) bestätigt Depressionen und nahezu jede*r Zweite (42 %) berichtet von Problemen mit dem Selbstbild. Frauen berichten von negativen Auswirkungen häufiger als Männer.
Negative Folgen für Debattenkultur und Demokratie
„Hassbotschaften gefährden die Vielfalt im Internet, weil sie Menschen einschüchtern und verdrängen.“ Dieser Aussage stimmen drei von vier Internetnutzer*innen (74 %) zu. Die Existenz von Einschüchterungs- und Verdrängungseffekten wird durch den Umgang mit Hassrede im Netz bestätigt: Etwa die Hälfte der Internetnutzer*innen gibt an, sich in Reaktion auf Hassrede im Internet seltener zu ihrer politischen Meinung zu bekennen (54 %) und sich seltener an Diskussionen im Netz zu beteiligen (47 %). Das bedeutet, dass Menschen durch Hassbotschaften systematisch aus Online-Diskussionen vertrieben werden und sich vertreiben lassen, auch wenn sie (noch) nicht persönlich durch Hate Speech angegriffen wurden, sondern diese nur beobachtet haben.
Darunter leiden die betroffenen Personen, der Meinungspluralismus im Netz und somit letztlich die demokratische (Diskurs-)Kultur. Hate Speech verringert die Meinungsvielfalt im Netz und führt zu einer Verschiebung der Wahrnehmung über die gesellschaftliche Realität, wenn Hater*innen in den Kommentarspalten dominieren. 72 % der Befragten sorgen sich, dass durch Aggressionen im Internet auch die Gewalt im Alltag zunimmt.
Forderungen zur Bekämpfung von Hate Speech
Aus der Sicht der Befragten unternehmen deutsche Institutionen nicht genug gegen den Hass im Netz. Die Forderung „Der Staat sollte die bestehenden Gesetze gegen Beleidigungen, Hassrede und Verleumdung auch im Internet konsequent durchsetzen.“ findet eine Zustimmung von 75 %. Nur 19 % meinen, die Polizei unternehme genug gegen den Hass im Internet, gerade einmal 13 % sind der Ansicht, die Landesregierungen machten genug und von der Bundesregierung denken das nur 12 %. Ein sehr großer Teil der Internetnutzer*innen ist mit den Hassbotschaften nicht einverstanden.
Die Mehrheit fordert, dass mehr gegen den Hass im Netz getan wird. Die fünf konkreten Forderungen von Campact, die Das NETTZ als Bündnispartnerin unterstützt, finden sehr große Zustimmung bei den Befragten. Die Aussage „Es sollte in [meinem Bundesland] spezialisierte Anlaufstellen für Betroffene von Hass im Internet geben“ wurde von 74 % unterstützt. Die Forderung „Betroffene von Hassbotschaften sollten gegen die Täter*innen klagen können, ohne dafür erst mal finanziell in Vorkasse gehen zu müssen“ wurde von 73 % geteilt. Und der Aussage „Es sollte zentrale Ermittlungsstellen für Hassrede bei Staatsanwaltschaften [meines Bundeslandes] geben“ schlossen sich 68 % an. Den Appell Hate Speech stoppen haben mittlerweile über 241.000 Menschen unterzeichnet.