Du bist Reinigungskraft und verdienst mehr als die Geschäftsführung. Deine Eltern sind Akademiker*innen und du wirst viel erben – damit reduziert sich dein Einkommen um x-Prozent. Das hört sich illusorisch an? Oder triggert dich irgendwie? Dann lies weiter! Lisa Jaspers, Corinna Sy, Irmela Sinkewitsch, Julia Merhart & Nancy Koch haben innerhalb des Unlearn Business Lab das Unlearn Vergütung Lab gegründet, in dem sie sich im letzten Jahr intensiv mit Vergütung und Privilegien beschäftigt haben. Sie würden es wieder tun. Barbara Djassi hat die Fünf getroffen und sie ausgefragt.
Kürzlich wurde das Unlearn Business Lab gelauncht. Ihr fünf beschäftigt euch in einem der Labs mit der Verteilung von Geld in Unternehmen. Was für eine Idee steht dahinter?
Corinna Sy: Das Unlearn Business Lab ist eine Initiative aus mehreren Einzelpersonen und den drei Firmen einhorn products, Folkdays und Wildling. Wir wollen eine Community aufbauen, die sich mit den brennenden Fragestellungen unserer Zeit beschäftigt. Unlearn steht für verlernen, neu erlernen und gemeinsam neue radikale Lösungsansätze entwickeln. Das tun wir und eine möglichst wachsende Community in unterschiedlichen Themen-Labs. Wir fünf Frauen sind mit unserem Unlearn Vergütung Lab eins davon und somit Teil eines großen Experiments.
Lisa Jaspers: Ebenso wie bei dem Buch “Unlearn Patriarchy”, das ich zusammen mit Naomi Ryland und 14 anderen Menschen geschrieben habe, steht hinter Unlearn Business Lab der Grundgedanke, dass wir erstmal Platz schaffen müssen, bevor wir neue Dinge lernen können. Wir müssen zunächst verstehen, wie tief bestimmte Gedanken, moralische Vorstellungen und Prägungen sind, die uns in immer gleiche Bahnen lenken.
Wir haben gerade im Sozialunternehmertum ein Problem ausgemacht: Auf der einen Seite sind sich alle bewusst darüber, dass wir einen Systemwandel brauchen, weil das aktuelle Wirtschaftssystem nicht zukunftsgewandt ist und wir durch kleine Verbesserungen nicht wirklich einen substanziellen Unterschied machen werden. Auf der anderen Seite brechen die wenigsten Sozial-Unternehmer*innen aus dem System aus und stellen sich selten große systemische Fragen. Aufgrund dessen haben wir das Unlearn Business Lab gestartet. Eine Grundannahme dabei ist, dass es wichtig ist, erstmal in Verbindung mit uns selbst zu treten. Dann gilt es, in Kontakt zu anderen Menschen mit ähnlichen eigenen Ziele zu gehen, um sichere Räume zu kreieren, aus denen wir wirklich radikale Veränderung leben können. Eine radikale Veränderung wäre, dass in Unternehmen nach Privilegien vergütet wird.
Was soll sich durch das Unlearn Vergütung Lab konkret ändern?
Irmela Sinkewitsch: Ein Verdienstunterschied wie der Gender Pay Gap ist ein Problem, das auf Chancenungleichheiten beruht. Und auch neben der sozialen Kategorie der Geschlechtsidentität kann davon ausgegangen werden, dass weitere Verdienstdiskriminierungen beispielsweise aufgrund von Wohnort in Ost- oder Westdeutschland, der Herkunft oder Migrationsgeschichte, der Ethnizität oder durch Rassifizierung, der sexuellen Orientierung und einer Be_hinderung stattfinden und systemische Ungerechtigkeiten sowie Chancenungleichheiten festigen. Solche Verdienstdiskriminierungen sind meist jedoch nicht sichtbar, denn oftmals fehlt es an Transparenz in der Gehaltsbestimmung, wie sich diese entwickelt und überhaupt auch bei der Verteilungsgerechtigkeit.
Lisa Jaspers: Unsere herkömmliche Art der Vergütung sowie unser Bild von Performance und Werten in Unternehmen führen dazu, dass die Menschen, die schon privilegiert sind, meistens am meisten verdienen und die weniger Privilegien haben, meistens weniger verdienen. Eigentlich müsste der Staat viel besser umverteilen, als er es gerade tut. Wir sehen stattdessen, dass die Ungleichheit immer größer wird. Diese wichtige Aufgabe des Staates darf natürlich keinesfalls in der Hand von Unternehmen liegen. Handelt der Staat jedoch nicht entsprechend, sehen wir uns in der Verantwortung, den Schmerz, die Notwendigkeit und auch die Bedürftigkeit von Menschen zu adressieren. Darum fragen wir uns als soziale Unternehmer*innen, was wir in unserem Wirkungsraum tun können, um dieser Spaltung der Gesellschaft – die ja auch ganz viele schlimme politische Wirkungen nach sich zieht – entgegenzuwirken. Wir wollen ein Modell für eine gerechtere Vergütung schaffen, das andere Menschen einfach nutzen können.
Der Wunsch nach gerechterer Verteilung ist nicht neu. Habt ihr euch inspirieren lassen?
Lisa Jaspers: Interessanterweise haben wir zumindest in der Gegenwart keine Gehaltsmodelle gefunden, die wirklich solidarisch funktionieren, indem sie Privilegien einbeziehen und damit umfassender sind als sowas wie Wunschgehalt oder Bedarfsgehalt. Es ist wirklich interessant, dieses Privilegien-Thema will niemand so richtig anpacken. Selbst radikale Revolutionäre, von denen wir viel Inspiration bekommen, weil sie Organisationen ganz neu denken, haben das Thema nicht wirklich adressiert.
Corinna Sy: Irmela, Nancy und ich haben uns intensiv in das ganze Thema reingekniet und Checks untersucht, die es schon gibt. Und wir haben super viel gefunden und einiges war sehr inspirierend. Aber nichts davon war weit genug gedacht. Also ist es an uns, erstmal transparent aufzubereiten, was da alles dazugehört, welche Dimensionen man mit einbeziehen muss.
Nancy Koch: Wir stießen stets schnell an die Grenzen der Modelle. Es war immer ein bisschen so, wie wenn man es fair und gerecht machen will, aber nur solange es nicht wehtut. Es war klar, da geht mehr. Das geht ehrlicher und tiefer.
Julia Merhart: Wenn man in diese New Pay Sachen rein geht, dann tauchen da viele Themen auf. Das kann überfordernd sein. Wenn man sich aber auf das Explorieren in einem freien Raum einlässt, ist das schließlich extrem befriedigend, weil man plötzlich die vielen Ebenen und die Unzufriedenheit besser versteht. Ich glaube, wenn wir wirklich eine Veränderung haben wollen, müssen wir anfangen, es auch mal auszuhalten, keine Antworten zu finden, sondern komische, frustrierende und chaotische Gefühle zu haben. Das ist normal, wenn systemische, unternehmerische und individuelle Fragen alle auf dem Tisch liegen.
Wie seid ihr denn die Sache überhaupt angegangen?
Lisa Jaspers: Wir wollten eine diverse Gruppe haben, in der unterschiedliche Privilegienstufen abgebildet sind. Wir fünf haben relativ verschiedene Hintergründe und unterschiedliche oder auch nicht vorhandene Vermögen.
Julia Merhart: Vor einem Jahr haben wir begonnen, uns einmal wöchentlich für circa zwei Stunden zum Thema Vergütung zusammenzusetzen und unsere Perspektiven und Erfahrungen zu teilen. Wir haben uns darüber unterhalten, was für uns Privilegien sind, welche unterschiedlichen Kategorien es gibt und wie sie entstehen. Außerdem haben wir uns viele bestehende Vergütungsmodelle angeschaut. Dann gab es irgendwann einen Geld-Topf. Und wir haben intern beschlossen, diesen Topf auf Privilegien basierend zu verteilen.
Nancy Koch: Angefangen haben wir mit den Tests. Es gibt ja sehr viele verschiedene Tests. Einen haben wir alle gemacht und dann einfach das Ergebnis geteilt. Da steht dann in der Auswertung: Du bist in einer Spanne hoch privilegiert oder niedrig privilegiert. Dann haben wir uns ausgetauscht zu Fragen wie: Wo kommen Glaubenssätze zum Thema Geld her? Was hab ich für ein Gefühl zu Geld? Welche Rolle spielt Geld in meiner Familie?
Und nachdem wir dann unsere Geschichten teilen konnten – es hat eine ganze Weile gebraucht, bis genug Vertrauen da war und der Raum sich so sicher angefühlt hat, dass man das gut teilen konnte –, haben wir Prozente festgelegt. Wir haben neben den Privilegien noch das Care-Thema integriert: Pflegst du große oder kleine Menschen? Dann hat jede Einzelne quasi ihre eigene Logik gefunden. Das haben wir wiederum zusammengeschmissen und versucht daraus ein Mittel zu bilden.
Julia Merhart: Privilegien werden ganz oft nur mit Geld verknüpft. Werde ich mal erben? Habe ich Vermögen? Wie viel verdiene ich? Habe ich Rücklagen? Kann ich mir etwas leisten? Eine wichtige Erweiterung ist es, beispielsweise zu fragen, was für Vorbilder ich in meiner Familie bezüglich Bildung hatte, wie ich mit Geld aufgewachsen bin oder ob es Traumata gab in der Kindheit.
Was ist euch auf dem Weg passiert?
Irmela Sinkewitsch: Ich würde mich zu den Menschen zählen, die einen relativ offenen Umgang mit Geld haben. Und ich merkte in dieser Runde nun, dass die Unterhaltungen mit Freund*innen über Geld und Gehälter doch oft nur an der Oberfläche gekratzt haben.
Julia Merhart: Bei uns allen sind super viele Emotionen hochgekommen. Und gleichzeitig war es ein unfassbarer Befreiungsschlag, mal so offen über diese Sachen sprechen und sich einordnen zu dürfen. Als wir begannen, diesen Topf basierend auf Privilegien prozentual zu verteilen, haben wir uns immer wieder angeschaut, was wir brauchen, damit sich der Raum für dieses Experiment sicher genug anfühlt. Was brauchen wir als Team? Was brauchen wir individuell? Welche Tools und Kompetenzen helfen uns, welche fehlen uns?
Lisa Jaspers: Es ging darum, aus dem Selbstexperiment abzuleiten, was potenziell auch für andere funktionieren kann. Das Selbstexperiment und die Entwicklung parallel laufen zu lassen, war manchmal eine große Herausforderung. Manchmal nahmen so viele Emotionen Raum ein, dass wir das Gefühl hatten, nicht weiter zu kommen. Dann wiederum passierten Sachen in ein und demselben Moment und plötzlich war klar: Dies könnte ein Schritt sein, das könnte richtig sein. Es waren ineinander verwobene Prozesse.
Corinna Sy: Das war schon eine ganz schöne bumpy road, super schön oft, aber auch anstrengend. Ich finde, wir haben echt einen super guten Umgang miteinander entwickelt. Wir haben es sehr ehrlich angesprochen, wenn etwas zu weit ging oder wenn man sich unsicher, unwohl gefühlt hat. Immerhin haben wir Sätze verinnerlicht wie: Über Geld spricht man nicht. Und dann suchen wir individuell nach Antworten auf die Frage, was uns Geld bedeutet – jetzt, in der Vergangenheit und in der Zukunft. Gleichzeitig betrachten wir Geld als soziales Konstrukt, verknüpft mit dem Privilegienthema. Es war wirklich herausfordernd, mit der eigenen Historie und auch mit Wahrheiten konfrontiert zu werden, die man erfolgreich irgendwohin geschoben hat.
Und ich fand es stellenweise sehr schwierig, mich in einer stellvertretenden Rolle zu sehen. Da immer wieder zu überlegen: Wenn sich das gerade für mich so anfühlt, wie ist es dann erst für eine Person X, die in einer schlechteren Situation ist oder durch bestimmte Themen stark getriggert wird. Da werden unter Umständen Sachen aufgewirbelt, die es zu halten gilt. Prekäre Fälle werden vielleicht in eine Position gestellt, in der sie nicht sein möchten. Das sind dann so Fragen, die auf einmal auftauchen, für die es einen sensiblen Umgang braucht.
Julia Merhart: Wir merken, dass wir alle Glaubenssätze haben und das Thema Geld mit Scham behaftet ist. Es ist zwar schmerzhaft darüber zu sprechen, aber auch total befreiend zu registrieren, dass wir alle damit zu kämpfen haben, weil wir aus einem System kommen, das extrem ungesund ist. Und wir sind alle unterschiedlich betroffen, aber doch eben alle betroffen.
Was habt ihr herausgefunden und welche Erkenntnisse fließen in die Tools ein, die ihr zur Verfügung stellen wollt?
Corinna Sy: Unser Berechnungsmodell startet mit einem Privilegien-Check, bei dem es um Geschlechtsidentität, Rassifizierung, Religion, Herkunft, Sexismus und viele weitere Themenfelder geht. Der Check erfolgt anonym. Wir haben nämlich herausgefunden – und Expert*innen bestätigen das –, dass es schwer ist, Menschen mit ihren Privilegien zu konfrontieren. Es funktioniert viel besser, wenn man die Menschen mit den anderen Realitäten konfrontiert.
Nancy Koch: Dass Privilegien im Vergleich am besten sichtbar werden, kennen wir von Gruppenaufstellungen. Dabei machst du einen Schritt nach vorne, wenn du eine Frage nach Privilegien bejahst. Wir haben uns bewusst gegen Checks dieser Art entschieden. Was passiert nämlich dabei? Jene, die am Ende vorne stehen, mit ihren bejahten Privilegienfragen, lernen ganz viel und empfinden Scham. Die aber weiter hinten stehen bleiben, werden wieder unweigerlich in eine diskriminierende Situation gebracht. Sie kriegen nochmal vor Augen geführt, wie weit hinten sie eigentlich stehen. Um das aufzulösen, nutzen wir den Privilegien-Check als Methode zur Selbstreflexion.
Corinna Sy: Auf den Privilegien-Check folgt der Finanz-Check. Wieviel hast du tatsächlich? Wieviel willst du bekommen?
Beim anschließenden Kapazitäts-Check geht es zum einen um Care-Work-Themen und zum anderen um mentale, geistige und körperliche Kapazität. Und dann kommt noch eine Bedarfsanalyse dazu. Und nach all dem haben wir eine Berechnungsgrundlage.
Dafür haben wir ein Raster in Form eines Fragenkatalogs entworfen. Dieses Raster spuckt die Zahl X aus. Wir können dabei natürlich nicht alles abdecken. Es braucht auch nochmal Eigeninitiative, wenn man sich wirklich selber verorten können will. Uns es geht auch darum, sich bewusst zu machen, welche Privilegien und Diskriminierungsthemen grundsätzlich in der Gesellschaft existieren.
Julia Merhart: Wir haben während dieses Prozesses als Gruppe weitgehend auf professionelle Unterstützung verzichtet. Aber wir haben alle ein gutes Netzwerk. Wir können Dinge, die nicht mehr in den gemeinsamen Raum passen, mitnehmen und zu jemandem gehen, der Körperarbeit macht, Coaching oder Therapie. Also, wir werden bei diesen Themen quasi außerhalb begleitet. Irgendeine Art von Begleitung ist schon wichtig. Daran arbeiten wir neben den faktischen Themen wie Privilegien-Check und Tools.
Und der Plan ist, dass die Unternehmen im Unlearn Business Lab das Modell anwenden?
Lisa Jaspers: Ja, wir wünschen uns, dass das Modell im Unlearn Business Lab angewendet wird. Wir bei FOLKDAYS wollen das auf jeden Fall machen. Ich weiß, dass auch einhorn products sich sehr viele Gedanken zu Vergütungsmodellen macht und ich bin mir sicher, dass es da Anknüpfungspunkte gibt. Aber es ist nicht so, dass jedes Unlearn Business Lab Unternehmen alle Sachen, die wir in den einzelnen Labs entwickeln, sofort umsetzen muss. Vielleicht will das eine Unternehmen sich erstmal stärker auf Wertschöpfungsketten fokussieren und andere eher auf Gehaltsstrukturen. Es wird wahrscheinlich eher so sein, dass erstmal andere Unternehmen das Gehaltsmodell umsetzen. Wir haben schon gezielte Anfragen von Unternehmen bekommen.
Julia Merhart: Und ganz wichtig: Es ist kein Beratungsprozess, den wir aufbauen. Wir finden vielmehr spannend, den Forschungsraum weiter zu öffnen und Erfahrungen von anderen Unternehmen zu sammeln, die unsere Tools und Checks anwenden. Vielleicht geht das eine Unternehmen hinterher mit einem transparenten Gehaltsmodell raus und ein anderes Unternehmen geht den ganzen Weg.
Lisa Jaspers: An das Unlearn Business Lab können sich Unternehmen andocken. Wenn dort nach Privilegien vergütet wird, fließt aus den beteiligten Unternehmen, die finanzkräftiger sind, mehr Geld ins Lab. Im besten Fall führt das dazu, dass weniger bemittelte Unternehmen sogar finanzielle Unterstützung dafür bekommen können, dass sie im Lab mitarbeiten, wenn sie spannende Themen einbringen. Das würde dem Ganzen noch mal mehr Wirksamkeit verpassen.
Angenommen, das betterplace lab will euer Modell einführen. Was brauchen wir als Unternehmen, um diesen Prozess zu starten?
Nancy Koch: Ihr solltet euch nochmal genau anschauen, für welche Werte ihr steht und was das für ein Gehaltssystem bedeutet. Wollt ihr ein faires und gerechtes Unternehmen sein? Wollt ihr ein nachhaltiges Unternehmen sein? Welche Werte sollen euer Gehaltssystem widerspiegeln? Inwieweit tun sie das schon und wo nicht? Es kann schon recht individuell sein, was fair, was gerecht oder gerechter bedeutet. Damit solltet ihr tatsächlich anfangen. Und dann in den Austausch gehen in einem Raum, der sich sicher genug anfühlt.
Lisa Jaspers: Uns ist total oft passiert, dass wir getriggert wurden durch etwas, was jemand gesagt hat. Darum braucht ihr nicht nur faktisches Wissen über Privilegien, sondern auch über unser Nervensystem, über Emotionen. Wie fühlt sich eigentlich ein Trigger an? Was passiert da in unserem Körper? Was sind gute Coping Mechanismen?
Es kann hilfreich sein, jemand von außen auch punktuell dabei zu haben. Auch wenn ein Team schon viel in dieser Richtung gemacht hat, kann das bei diesem Thema schon nochmal eine Nummer tiefer gehen. Selbst wenn wir verstehen, wie eng Wertschätzung für uns mit Geld verbunden ist, entstehen in uns Fragen: Wird meine Arbeit überhaupt gesehen hier in der Gruppe, wenn ich so privilegiert bin, dass ich eigentlich nicht wirklich dafür Geld bekomme? Was heißt das für mein Gefühl in Bezug auf meine Leistungen? Und dass solche Fragen hochkommen, ist total normal, weil wir uns so lange in einem anderen System bewegt haben.
Irmela Sinkewitsch: Es ist zunächst unangenehm, die eigenen Privilegien und auch Benachteiligungen so deutlich veranschaulicht zu bekommen. Man hat die eigenen Benachteiligungen bisher noch nicht monetär bemessen. Das ist erstmal ungewohnt und setzt ein gewisses Reflektionsvermögen voraus. Begibt man sich aber in diesen Prozess, so habe ich die Erfahrung gemacht, wird man neben der monetären Entlohnung mit Empowerment und tiefen Verbindungen mit den Menschen im Team belohnt.
Du interessierst dich für ein privilegienbasiertes Vergütungssystem oder für den Prozess hin zu einer faireren Gehaltsverteilung in deiner Organisation? Dann melde dich bei hello@unlearnbusinesslab.com
Mit inspirierenden Menschen baut Julia Merhart die Business & Soul School auf, wo Purpose Gründer*innen und Teams dabei unterstützt werden, im täglichen Hustle mehr Klarheit und Fokus zu finden und vor allem die eigenen Ressourcen nicht auszubrennen. Dafür verbinden sie Businessthemen mit dem spannenden Wissen zu Hirn & Nervensystem.
"Für mich hat sich vor allem das Thema Gehalt immer ganz falsch angefühlt, insbesondere dieses Verhandeln auf klassische Art und Weise."
Lisa Jaspers gründete das Fairtrade Label FOLKDAYS, gemeinsam mit Naomi Ryland hat sie das Buch „Starting a Revolution. Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft der Arbeitswelt lernen können” geschrieben und im letzten Jahr mit Naomi Ryland und 14 weiteren Autor*innen das Buch “Unlearn Patriarchy” veröffentlicht.
"Ich habe bei FOLKDAYS entschieden, mir weniger zu zahlen als meinen Mitarbeiter*innen, weil ich bei weitem die Privilegierteste in dieser Runde war und mich damit sehr unwohl gefühlt habe."
Corinna Sy ist Designerin und Mitgründerin der Möbelmanufaktur CUCULA, in der Menschen mit Fluchterfahrungen arbeiteten. Sie lehrt als Dozentin im Bereich Eco Social Design und hat sich als Beraterin und Researcherin mit Gemeinwohlorientierung, Wirkungsskalierung und Transformationsprozessen auseinandergesetzt.
"Bei CUCULA haben wir uns aufgrund der schwierigen Startbedingungen und vielfältigen Biografien immer wieder intensiv mit alternativen Entlohnungsmodellen auseinandergesetzt."
Nancy Koch ist systemische Beraterin und versucht nach einer langjährigen klassischen BWL-Konzern-Karriere nur noch das zu machen, von dem sie glaubt, dass es uns als Gesamtgesellschaft in Zukunft hilft. Das sind Projekte, die wirklich versuchen, neue Wege zu gehen.
"Es tut mir weh, wenn wir versuchen, ein altes System mit Pflastern zu kleben."
Irmela Sinkewitsch ist freiberufliche Projektmanagerin und hat gerade ihre Masterarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde eingereicht, in der sie nach den notwendigen Rahmenbedingungen in der Erwerbsarbeit forschte, die unbezahlte Care-Arbeit anerkennen und ökonomische Gerechtigkeit und Gleichstellung zwischen Geschlechtern herstellen können.
"Neben dem Gerechtigkeitsaspekt ist meine Motivation in diesem Projekt, an einem Vorschlag für eine Umverteilung und Umbewertung von Arbeit mitzuwirken und dafür folglich ein neues Einkommenskonzept mitzuentwickeln."